die Kinder von SALEM
die Kinder von SALEM

die Kinder von SALEM

Lesedauer 5 Minuten

Jetzt bin ich tatsächlich schon über elf Monate hier in SALEM.

Angefangen hat mein Einsatz in der Pandemie, als wir noch Schichtbetrieb hatten und die Kinder in fast schon unübersehbar viele Gruppen aufgeteilt waren.

Ich in der Plataforma, die kleinen Rabauken dazu motivieren sollend, dass sie aufmerksam an ihrem online-Unterricht teilhaben und anschließend ihre Hausaufgaben machen. Mit meinen fünf Vokabeln Spanisch, die ich damals konnte, komplett wehrlos den leinen gewieften Teufelchen ausgeliefert.

Danach eine Zeit lang mit Sulema in der Gruppe der Adolescentes. Aber auch nie wirklich, weil immer irgendwas anderes zu tun war.

Auf reisen und jetzt am Ende im Breakdance Workshop gelandet, wo wir mit den Kids Freezes üben und Handstände machen.

Auch, wenn ich zwar viele verschiedene Positionen belegt habe in diesem ganzen Geflecht an Angeboten in SALEM gibt es doch ein paar Dinge, die immer gleich geblieben sind. Und das ist der ständige Kontakt mit den Kindern. Darum möchte ich hier gerne ein paar der absoluten Spezialisten festhalten, einfach damit sich diese Erinnerungen nicht irgendwann im Strudel des ganzen Freiwilligeneinsatzes verlieren.

Da gäbe es zum Beispiel Dilan*. Er ist einer der ältesten Kinder von SALEM und wird tatsächlich demnächst die Einrichtung als Kind verlassen. Er hat mir aber schon ganz stolz berichtet, dass er versuchen wird als Freiwilliger weiter mitzuhelfen und sich einzubringen. Dilan ist ein super lieber Kerl. Er begrüßt mich immer mit “hola profe”, was so viel heißt wie “hallo Lehrer”. Recht am Anfang habe ich ihm einmal gezeigt, wie er mit DaVinci Resolve Videos schneiden kann und seitdem erzählt er mir jedes Mal, wie viel er bei seinem eigenen Projekt schon weitergebracht hat. Manchmal hat er leider ein bisschen Schwierigkeiten soziale Grenzen wahrzunehmen und baut sich in den ungelegensten Momenten in Konversationen ein. Ihm freundlich zu sagen, dass es gerade nicht passt, ist manchmal ganz schön schwer.

Sein Bruder heißt Alan*. Er ist in der Gruppe der Preadolescentes und auch ein super lieber Kerl. Er erklärt mir jeden Tag wieder, dass er heute jetzt endgültig aus dem Breakdance-Workshop aussteigen wird. Warum kann er mir aber auch nicht ganz erklären. In Wirklichkeit möchte er einfach überredet werden mitzumachen. Wenn er dann mitmacht ist er dann entweder voll dabei, oder hat gar keine Lust überhaupt nur einen Finger zu rühren. Vielleicht liegt es an seinem korpulenten Körper, dass er sich nicht so zugehörig fühlt, obwohl wir uns wirklich sehr mühe geben ihn für jede Bewegung und jeden Versuch seine spezielle Art des Ellenbogen-Freezes so viel zu loben wie es geht. Ach ja, und hin und wieder isst er Poolnudeln.

Wenn ihm langweilig ist, dass streitet er ich sehr gerne mit Bruno*. Ein kleiner Rabauke, aus der Gruppe von den jüngsten. Das bedeutet aber nicht, dass er deswegen weniger Schlagkraft hat. Nicht nur einmal ist es mir passiert, dass mich Bruno erst einmal mit einem angedeuteten aber etwas ausgearteten Hieb in die Magengegend begrüßt hat. Für ihn ist es manchmal garnicht so einfach seine Kräfte zu kontrollieren. Sehr schnell kommt ihm mal seine Hand aus oder auch der Fuß. Im Normalfall tut es ihm aber dann sofort danach leid, wenn er meine Schulter wieder einmal mit einem kräftigen “hayaaa” mit einem Karate-Schlag bearbeitet hat und ich ihm sage, dass mir das weh tut. Spannenderweise ist seine Hand-Augen-Koordination beim Boxen viel besser als beim Essen. Sieht man sich nach einer erfolgreich geschlagenen Essensschlacht unseren Comedor an, weiß man auf den ersten Blick, wo unser lieber Bruno gesessen ist. Nämlich dort, wo mit Abstand der meiste Reis am und unter dem Tisch gelandet ist. Manchmal schafft der Reis es aber auch in Haare, T-Shirts, oder bis in den Garten nebenan. Mittlerweile bemessen wir das Level des herrschenden Chaos in allen möglichen Situationen “Brunos”. Alles bis 2,5 Brunos ist noch irgendwie handelbar. Alles darüber ein verlorener Fall.

Eine andere Expertin im Mittagessen heißt Mayté*. An schlechten Tagen schafft sie es doch wirklich die vollen eineinhalb Stunden der Mittagessenszeit im Comedor zu verbringen und noch nicht einmal mit ihrer Suppe fertig zu sein. So ein trotziges Kind habe ich selten erlebt. Die beste Strategie ist einfach zu hoffen, dass sie heute einen guten Tag hat und mich möglichst nicht bemerkt. Dann isst sie tendenziell am schnellsten. Das Problem mit dem nicht bemerken ist aber oft etwas tricky, denn Mayté ist auch eine der provozierendsten Kids hier in SALEM. Die Erwachsenen halten das ja eh ganz gut aus, aber wenn sie es sich zur Aufgabe gemacht hat einen Alan, oder Bruno mal so richtig zu ärgern, dann schafft sie es auch. Und zwar in Rekordzeit. Es gilt also möglichst effizient die Kinder im Comedor zu Schachteln, damit solche Kombinationen gar nicht erst vorkommen.

Wir haben aber nicht nur Spezielist:innen in Chaos und Anarchie. Es gibt hier auch Kinder, die einfach nur kleine Herzchen sind. Dafne* zum Beispiel. Sie ist auch in der Gruppe der Jüngsten und möchte unbedingt einmal Bäckerin werden. Jedes mal erzählt sie mir wieder, wie gut ihr das Essen von Fernanda schmeckt und wie sehr sie sich darauf freut irgendwann ihre eigene Konditorei auszumachen, um die ganze Welt mit ihren Kuchen glücklich zu machen. Von ihr werde ich auch jeden Tag mit einer herzlichen Umarmung begrüßt.

Zoe* ist auch so eine Kandidatin. Sie ist die Tochter von einer Mitarbeiterin in SALEM und vermutlich das knuffigste Kind auf diesem Planeten. Das weiß sie aber auch sehr genau. Meistens ist sie mit Layra* gemeinsam, um Sticker zu tauschen oder Mayté vom Essen abzulenken. Ihr Lieblingsort ist die Reifenschaukel, wo sie sich immer wünscht eingedreht und angeschubst zu werden.

Das gefällt aber fast allen Kindern hier. Ich bin ja ehrlich gesagt wirklich erstaunt, dass sich bis jetzt noch niemand übergeben hat bei der Rotationsgeschwindigkeit, die da teilweise an den Tag gelegt wird.

Ich könnte jetzt vermutlich noch Ewigkeiten über die fast 60 Kinder schreiben, die hier in SALEM herumgeistern.
Isaac*, der immer absolut cool sein muss.
Jaime*, der immer Isaac nachdattelt.
Bryan, der sich mittlerweile tatsächlich eine kleine Untertanenschaft angesammelt hat an Kindern, die ihn zum Lachen bringen müssen.
Vanessa*, die immer grantig ist.
Yan Carlos*, der vermutlich der witzigste Kerl in ganz SALEM ist einfach mit seiner leicht verwirrten Art.
Matias*, der sich immer unter Tischen und Stühlen versteckt (weil er weiß, dass er eigentlich wo anders sein sollte) und dann mit einem ganz verschmitzten Grinsen “feeeeliiiiiix” darunter hervorruft, damit ich ihn unter dem Tisch hervorhole.
Josué*, der ein super guter Tänzer ist, aber irgendwie immer von einer Sache zur nächsten floated.
Davíd*, der absolut nicht zuhören kann und die ganze Zeit nur durch das Gelände und die Räumlichkeiten wuselt.
Angélica*, die einmal ein Glas runtergeschmissen hat, es auf mich schieben wollte und mich seither jedes Mal fragt, wie viele Gläser ich denn jetzt schon wieder kaputt gemacht hätte.

Alle Kinder hier sind wirklich etwas ganz besonderes. Jedes mit seiner ganz individuellen Geschichte und Persönlichkeit. Auch, wenn es jetzt an der Zeit und gut ist, dass jemand anderer meinen Job weiter macht, werde ich die kleinen Racker doch irgendwie vermissen.

* Namen geändert

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