Die Richtung der Zeit
Die Richtung der Zeit

Die Richtung der Zeit

Lesedauer 2 Minuten

Dieser Post wurzelt nicht in meinen Gedanken, sondern in etwas, das ich letztens vom unserem Spanischlehrer Wilson lernen durfte.

Und zwar, wie wir auf die Zeit blicken.

Als Europäer*in oder Nordamerikaner*in ist es ganz selbstverständlich: Die Vergangenheit liegt hinter dir. Es ist das, was du zurück lässt, wenn du deinen Weg gehst. Vielleicht stärkt sie dir den Rücken oder lässt dich sehnsüchtig zurückblicken. Vielleicht läufst du auch vor bestimmten Dingen davon. Davon in die Zukunft. Die liegt nämlich vor dir. Es ist das, was du siehst, wo du hinplanst und deine Gedanken hinfliegen. Es ist das, womit wir uns am meisten beschäftigen, weil die Zukunft direkt vor unseren Augen liegt.

Aber das ist nicht in allen Kulturen so. Ich habe gelernt, dass die Indigene Bevölkerung von Ecuador und typischerweise ganz Lateinamerika das ursprünglich ganz anders wahrnimmt. Für sie liegt die Vergangenheit vor ihnen. Es ist die Art und Weise wie sie ihre Vorfahren in Erinnerung behalten, die Vergangenheit in die Gegenwart als einen Teil integrieren und die Prozesse ihres täglichen Lebens wahrnehmen. Die Vergangenheit ist das, worüber gesprochen werden kann. Deswegen funktionieren die meisten Indigenen Sprachen auch ganz anders. Es gibt keine eigene Zeitform für das was passiert ist, da es ja eigentlich das einzige ist, worüber geredet werden kann; das einzige was man sicher weiß. Über die Zukunft kann nicht gesprochen werden. Sie gibt es ja noch nicht. Sie kann weder gesehen noch behandelt werden, deswegen liegt sie im Rücken. Es ist das, was wir nicht sehen, was auf uns zukommt und auf das wir uns vorbereiten können, indem wir die Dinge betrachten, die uns bereits passiert sind. Wie, wenn man im Zug mit dem Rücken in Fahrtrichtung sitzt.

Und das hat mich irgendwie nachdenklich gemacht. Weil es stimmt. Wenn man die Sprache ansieht, dann sprechen die Ecuadorianer*innen ganz anders von der Vergangenheit als die Spanier*innen. Es wird nicht so viel differenziert, weil die Dinge sowieso präsent sind…….. Es verschwimmt die Vergangenheit manchmal mit dem was jetzt ist und unter dem Gesichtspunkt macht das auch Sinn. Sie wird einfach anders wahrgenommen.

Ich frage mich, in welche Richtungen Zeit noch fließen kann. Wie wäre es wohl, wenn meine Vergangenheit links und die Zukunft rechts von mir wäre, oder umgekehrt? Vielleicht könnte ich die Zeit dann an mir vorbei fließen sehen. Wie ein Beobachter, der man einen Schritt zurück machen kann und einfach nur zusieht wie die Zeit fließt.

Oder vielleicht kann ich auch auf meiner Vergangenheit stehen. Sie könnte mein Fundament, meine Treppe nach oben in die Zukunft sein. Mit jeder Geschichte ein Stückchen weiter Richtung Paradies, dem unendlich freien Himmel.

Und nach unten könnte meine Zukunft auch gehen. In die Tiefe. Mit jeder Begegnung ein Stückchen mehr in die Tiefe meiner Gedanken, meiner Seele abtauchend. Mich ein Stückchen besser kennenlernen und in mich eintauchen.

Die Zeit ist etwas, das wir wohl nie ganz verstehen können. Etwas, das uns unser Leben lang begleiten wird und dem wir fast schon ausgeliefert sind. Sie wirklich zu begreifen ist schwierig, ja fast unmöglich. Aber sie wahrzunehmen, das können wir. Die Frage ist nur wie.

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